Blog | Darf man eigentlich noch guten Gewissens Skifahren?

Darf man eigentlich noch guten Gewissens Skifahren?

Darf man eigentlich noch guten Gewissens Skifahren?
Gastautor | Dominik Prantl 22. Februar 2023

Ja, man darf. Zumindest findet das der Journalist der Süddeutschen Zeitung Dominik Prantl. Das heißt aber nicht, dass alles beim Alten bleiben sollte. Ein Gastbeitrag.

Von Dominik Prantl

 

Was war das zuletzt mal wieder für eine Aufregung; es war eindeutig was faul in den Staaten der Alpen. Nichts mit weißer Pracht und den üblichen Phrasen von Frau Holle und Winter Wonderland. Stattdessen: T-Shirt-Wetter zum Jahreswechsel, weiße Streifen aus Kanonenschnee bis weit hinauf in grünbraunen Hängen und jede Menge schwere Skiunfälle. Mancher Naturfreund und Umweltschützer forderte die Seilbahner nicht nur in Anbetracht der Energiekrise auf, die Beschneiung bitte bleiben zu lassen. Seriöse Forscher und reflektierte Praktiker plädierten in Beiträgen für ein Umdenken der manchmal stark auf das Tagessgeschäft fokussierten Tourismusbranche.

Vielen begeisterten Skifahrern stellte sich aber vor allem auch Fragen eines Luxusproblems: Darf ich den Kindern noch eine Aktivität beibringen, bei der sich das Ablaufdatum scheinbar immer weiter nach vorne verschiebt? Wo doch jedes Zehntelgrad Erwärmung den Energiebedarf für die zwangsläufig stärker gebotene Beschneiung weiter nach oben schraubt? 

Dominik Prantl

Dominik Prantl

"Darf man in Zeiten, in denen in Mitteleuropa alle Menschen vom Stromsparen und der Klimakrise reden, überhaupt noch einigermaßen guten Gewissens in den Alpen skifahren?"

Ein vernunftbegabter Mensch kann durchaus mit den Öko-Aktivisten sympathisieren, Greenpace unterstützen, auf Flugreisen verzichten – und auf diese Fragen antworten: ja, man darf. Das heißt nicht, dass man die Augen verschließen muss. Wer nicht gerade mit einer beneidenswerten Naivität in Sachen Wintertourismus ausgestattet ist, der weiß heute, dass man als Skifahrer einen gewissen ökologischen Fußabdruck hinterlässt. Pisten brauchen Platz, sie benötigen Wasser und Energie. Für einen Hektar beschneite Piste sind gemäß der Wirtschaftskammer Österreich beispielweise rund 3000 Kubikmeter Wasser nötig, so viel, wie in ein olympisches Schwimmbecken passen. Der jährliche Strombedarf aller Seilbahnen in Österreich entspricht mit 750 GWh etwa 250 000 kleineren bis mittleren Haushalten; der Skitag einer einzelnen Person mit etwa 16 bis 18 kWh rund 30 Fahrkilometern mit einem mittelgroßen Verbrenner-Pkw. Das alles ist kein Geheimnis.

 

Wirklich erstaunlich ist jedoch, wie gerne der organisierte Skibetrieb seit einigen Jahren zum klimapolitischen Sündenfall par excellence hochgejazzt wird. Nicht zu Unrecht weisen Vertreter der Seilbahnlobby darauf hin, dass sich mit dieser Industrie bei relativ geringem Energieeinsatz eine relativ hohe Wertschöpfung erzielen lässt. So trug der Tourismus laut Statistik Austria im Vor-Corona-Jahr 2019 zwar rund 7,6 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, machte gemäß Umweltbundesamt aber nur 1,6 Prozent des österreichischen Gesamtenergie-Verbrauchs aus. Auf die in vielen Alpentälern so wichtigen Seilbahnen inklusive Beschneiung entfielen gemäß WKO dabei 0,325 Prozent. Vergessen wird dabei auch gern, dass es sich beim Pistenbetrieb – hier sollte sich keiner irgendwelchen Illusionen hingeben – um einen Wirtschaftszweig, ein Geschäft handelt. Aber wohl die wenigsten kamen zuletzt auf den Gedanken, beispielsweise der Automobilindustrie die durchaus arbeitsplatzerhaltende, aber halt auch energieintensive Herstellung ihrer Produkte untersagen zu wollen. Dabei sollte man sich viel mehr für eine Autofahrt von München nach Innsbruck oder für die Teilnahme an einem Oldtimer-Rennen schämen als für einen Skitag.

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Überhaupt wäre auch die Skiwelt besser mit weniger Autos dran. Denn das Gros der Besuche in den öffentlich oft kompliziert erreichbaren Skigebieten wird mit dem eigenen PKW absolviert. Das zieht nicht nur Blechkolonnen nach sich. Auch entfällt gemäß verschiedenen Studien bei einem Skiurlaub je nach Aufenthaltsdauer mindestens die Hälfte der entstehenden Emissionen auf die An- und Abreise, etwa ein Drittel auf die Unterkunft, aber nur rund ein Fünftel auf die Seilbahnen.

Die An-und Abreise ist bei anderen alpinen Urlaubsformen wie dem durchaus zurecht als ökologisch propagierten Wandern und Langlaufen – und erst recht beim Skitourengehen, über dessen Nachhaltigkeit sich trefflich diskutieren lässt – allerdings ebenso nötig. Jeder Bergtourist, der über den Pistenfahrer die Nase rümpft, müsste vorweg hinterfragen, wie er selbst in die hintersten Ecken der Alpentäler reist. Und welchen Skiabdruck er wo in der Landschaft hinterlässt. Wobei der Alpenurlaub für Mitteleuropäer generell zu den umweltschonenderen Tourismusformen zählt.

Nicht umsonst befürwortet eine Expertin für naturnahen Wintertourismus Ulrike-Pröbstl-Haider, Professorin an der Universität für Bodenkultur in Wien, das alpine Skifahren daher aus ökologischer Sicht. Sie tut dies auch wegen der kanalisierenden Wirkung von Liften und Pisten, vor allem dann, wenn die Anreise öffentlich mit Bus und Bahn stattfindet. Und auch wenn es manchem Globetrotter weh tut: Zumindest emissionstechnisch ist die Bilanz einer Ski- und Partywoche der im Kleinbus aus Dortmund nach Ischgl angereisten Kegelbrüder weitaus besser als bei einem Strand-Urlaub in der Karibik, einem Golf-Urlaub auf den Kanaren oder selbst einem Yoga-Retreat auf Mallorca. Es ist, das nebenbei, auch nicht ganz fair, das Gesamtpaket des beim Skiurlaub entstehenden CO2-Ausstoßes den Skigebietsbetreibern anzulasten: Würde man etwa einem spanischen Fincabetreiber vorhalten, dass die meisten seiner Gäste aus Mitteleuropa einfliegen?

 

Was Flächen und Wasser betrifft, ist der Begriff des „Verbrauchs“ wiederum nicht ganz zutreffend. Beides steht im Frühjahr nach dem Abschmelzen wieder zur Verfügung. Etliche Wissenschaftler weisen darauf hin, dass eine beweidete Fläche generell um ein Vielfaches artenreicher ist als der diesbezüglich häufig überschätzte Wald. Studien an der Schmittenhöhe etwa haben gezeigt, dass Pisten bei entsprechender Pflege und ohne Düngung sogar einen Beitrag zur Artenvielfalt leisten können, da dort unter anderem Wildbienen, Heuschrecken und Schmetterlinge einen Lebensraum finden.

 

Ebenfalls kein wirklicher Grund für gesteigerte Skischam ist der Hinweis, dass es sich, um eine langsam aus der Zeit zu fallen drohende Aktivität, einen Sport mit Ablaufdatum handelt. Ebenso gut könnte man das Schlittschuhlaufen auf künstliche Eisfläche oder das Langlaufen auf präparierten Loipen infrage stellen. Viel zu selten kommt dagegen zur Sprache, warum so viele Menschen Gefallen an dem Sport finden: Die Kombination aus Anmut und Tempo, und das auch noch in den Bergen an der frischen Luft. Nicht wenige Sportlehrer weisen während der zurecht geführten Debatte um das Skilager daraufhin hin, dass kaum ein Sport die Schulung von motorischen Fähigkeiten und Koordination so gut mit dem Naturerlebnis verbinde. Noch dazu lässt sich oft das Sportliche mit dem Kulinarischen kombinieren, da auf den Hütten heute nicht selten richtig gute, regionale Küche angeboten wird.

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Was können Skigebietsbetreiber tun?

Allerdings können die Skigebietsbetreiber im Speziellen wie auch die Touristiker im Allgemein durchaus etwas tun. Man kann, nein: man muss sich fragen, ob die Saison wie zum Trotz wirklich mit eingelagertem Altschnee in den Oktober hinein erweitert werden muss. Ob man sich von hoch umstrittenen Seilbahn-Projekten in ökologischen sensiblen Räumen nicht schon in der Planungsphase verabschieden sollte. Ob mit den weiter steigenden Preisen und den in der Zukunft zu erwartenden sinkenden Skifahrerzahlen nicht nur der Pro-Kopf-Verbrauch an Wasser, Energie und Fläche sukzessive steigt, sondern ganz nebenbei auch die gesellschaftliche Akzeptanz für das Skifahren erodiert, wenn sich ein immer kleiner werdender Kreis den einstigen Breitensport noch leisten kann. Insofern wäre es schon im Eigeninteresse der Wintersportindustrie und ihrer manchmal sehr konservativen Vertreter, den Skisport so umwelt- und sozialverträglich wie möglich zu gestalten. Dazu zählt beispielsweise auch, mehr Anreize für eine umweltschonendere, autofreie Anreise zu schaffen, die Energieeffizienz der Anlagen weiter voranzutreiben oder sich mittelfristig für weitere Jahreswechsel mit T-Shirt-Temperaturen zu wappnen.

Das heißt aber nicht, dass man als Ski-Aficionado die Latten zwangsläufig am Wertstoffhof entsorgen muss. Schließlich garantiert das Skifahren jenseits aller Diskussionen um Energie und Emissionen, um Arbeitsplätze und Wertschöpfung einfach einen riesigen Spaß. Und das ist – in einer manchmal sehr spaßbefreiten Gesellschaft – durchaus ein Wert, über den es sich nachzudenken lohnt.

 

Über den Autor

Über den Autor

Dominik Prantl ist Journalist und Autor.

Er finanzierte schon sein Studium der Wirtschaftsgeografie, Betriebswirtschaftslehre und Politologie mit Artikeln für die Süddeutsche Zeitung (SZ).
Aktuell schreibt er weiterhin für die SZ sowie andere Medien - vor allem über Tourismuspolitik, Reisen und Österreich.

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