Blog | Ist der Tourismus an allem schuld?

Ist der Tourismus an allem schuld?

Ist der Tourismus an allem schuld?
Gast | Alois Kronbichler & Michael Oberhofer 7. Juni 2022

Prügelknabe, Sündenbock, Buhmann – die Sprache kennt viele Bezeichnungen für unsere Angewohnheit, die Schuld dort zu suchen, wo sie eigentlich nicht liegt. Oder zumindest nicht ausschließlich. Der Grund ist vielleicht manchmal auch Bequemlichkeit: Man will sich nicht mit den eigentlichen Ursachen einer Problematik auseinandersetzen.

So verhält es sich, scheint es uns, momentan mit der Diskussion um den Tourismus, gerade in Zusammenhang mit dem sogenannten Landestourismusentwicklungskonzept 2030+. Der Tourismus muss – womöglich in den Medien sogar mehr als im Empfinden der Bevölkerung – für alles herhalten, was im Land gerade schiefläuft: Er ist an der übermäßigen Verkehrsbelastung schuld, an der Ressourcenknappheit, am Verlust unserer Authentizität – und dass wir nicht nur mehr von Tourismus, sondern längst schon von Overtourism reden müssen, ist ohnehin klar.

Alois Kronbichler

Alois Kronbichler

Wir möchten eine Lanze für den Tourismus brechen, weil er für

Südtirol nicht nur ökonomisch

alternativlos bleibt.

Vor allem möchten wir dazu auffordern, endlich einmal über realistische Lösungen zu sprechen. Und die weiteren Ursachen des Problems, das wir zweifellos haben, ins Visier zu nehmen. Idealismus ist eine noble Sache, doch solange er in der Theorie verharrt, ohne gangbare Alternativen aufzuzeigen, wird er sich selbst nicht gerecht.

 

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Ja, der Tourismus stellt uns vor große Herausforderungen.

Er hat aber vor allem enorme Vorzüge.

Und die Antwort auf die Frage, wie die Zukunft des Tourismus auszusehen hat, kann nicht Alles oder Nichts sein.

Dass der Tourismus uns Wohlstand gebracht hat, steht außer Diskussion. Er hat uns neben wirtschaftlichen Aspekten aber auch kulturell bereichert und eine größere Weltoffenheit mit sich gebracht – oder wollen wir die enge Mentalität etwa noch der 60er- oder 70er-Jahre damit vergleichen, wie wir uns heute in der Welt verankert sehen?

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Dass Tourismus Beschränkungen braucht, ist unleugbar.

Wir bezweifeln aber stark, dass ein Bettenstopp die Lösung sein kann. Bei einem Bettenstopp sind in erster Linie die kleineren Betriebe die Verlierer; eine Pension etwa, die vielleicht vor einem Generationenwechsel steht und sich dann aber qualitativ nicht weiterentwickeln kann, weil sie sich quantitativ nicht weiterentwickeln darf. So zu tun, als gingen diese beiden Aspekte nicht Hand in Hand, ist eine Verschleierung der Tatsachen.

Diese Betriebe – und ihr Potential – sind die Seele dessen, was die Gastfreundschaft in Südtirol ausmacht und uns von anderen Regionen abhebt. Sie sind genau das, was die Gäste suchen und vor allem in Zukunft suchen werden: familiengeführte Häuser mit Charakter.

Um solche bleiben zu können, müssen sie aber selbstbestimmt handeln dürfen, sonst droht ihnen ein Schicksal wie vielen Betrieben etwa in Spanien oder der Türkei, denen von Investoren, Hotelketten usw. letztlich die Identität geraubt wurde. Wir sollten zudem nicht vergessen, dass wahre Nachhaltigkeit tatsächlich dort am stärksten gelebt wird, wo Familienbetriebe – auch im Interesse der eigenen Nachfahren – eigenverantwortlich ihre Vision für eine ressourcenschonende Zukunft umsetzen dürfen.

Hier ist die angedachte Bettenbörse sicher nicht zu verwerfen. Allerdings müssen die Kriterien genau definiert werden, nach denen die Betten vergeben werden und auch, wie die Entwicklung bei Privatvermietern wie AirBnb oder Urlaub auf dem Bauernhof geregelt sein soll. Soll es etwa keine rigorose Kontrolle von vermieteten Zweitwohnungen geben – die zudem noch den Wohnungsmarkt für Einheimische völlig deregulieren und für Wohnungsbesitzer nicht zuletzt aufgrund komplizierter Mietgesetze oft die einfachere Lösung ist?

Wir müssen neu denken, woher die Verkehrsüberlastung tatsächlich rührt: Verstopfen die Unmengen an Hotelgästen die Straßen, oder trägt zu einem beträchtlichen Teil der Tagestourismus dazu bei – und nicht zuletzt wir Einheimische selbst, wenn wir uns für jede auch noch so kleine Fahrt ins Auto setzen? Und: Löst man Verkehrsprobleme mit einem Bettenstopp, oder nicht etwa doch, indem man verkehrstechnische Maßnahmen zur Modernisierung unserer Straßeninfrastruktur ergreift, die teilweise noch aus den 50iger-Jahren stammt? Die Mobilität hat sich in Südtirol wie überall auf der Welt auch unabhängig vom Faktor Tourismus entwickelt, und dem müssen wir Rechnung tragen.

Welche Verantwortung tragen die Gemeinden? Ein Hotelumbau zieht primäre und sekundäre Erschließungskosten nach sich, Hoteliers bezahlen hohe Gemeindeimmobiliensteuern; Gelder, die die Gemeinden auch entsprechend einsetzen müssten, oft genug aber zweckentfremden. Auf diese Weise löst man die großen Herausforderungen der Zukunft, wie jene der Nachhaltigkeit, gewiss nicht.

Der Zugang zu touristischen Hotspots kann und soll reguliert werden. In Hotels keine Cola mehr zu servieren, ist ein schönes Symbol, trägt aber wenig zur Lösung der großen Fragen bei, die wir uns stellen müssen.

Michael Oberhofer

Michael Oberhofer

Wir können und müssen gemeinsam am Tourismus arbeiten, indem wir kluge und umsetzbare Antworten darauf finden, was für uns

nachhaltige Entwicklung heißt, ohne den Schaden anzurichten, den wir in der Vergangenheit oft aus

Unwissen verursacht haben.

Dass das leicht ist, behaupten wir nicht. Umso mehr gilt es, in einen konstruktiven Dialog zu treten, und nicht nach Sündenböcken oder Schuldigen zu suchen.

 

Über die Autoren

Über die Autoren

 

Alois Kronbichler ist Geschäftsführer der Beratungsagentur für Hotellerie und Gastronomie Kohl & Partner Südtirol. Seine fachlichen Schwerpunkte sind Destinationsmanagement, Organisationsentwicklung im Tourismus und Begleitung bei der Betriebsübergabe.

Michael Oberhofer ist teilhabender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe für Tourismus HMM mit den Agenturen Brandnamic und OMS, der Immobilienwerkstatt Renato D’Alberto sowie der Softwarefirma Yanovis mit insgesamt über 150 Mitarbeitern.

Zusammen sind sie Geschäftsführer der Belvita Leading Wellnesshotels Südtirol, der Familienhotels Südtirol und der Alpine Pearls.

 

 

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